50 Leute auf der Suche nach einer Milliarden-Dollar-Idee

Der Einstieg bei Entrepreneur First (EF) war keine leichte Entscheidung: Ich hatte einen gut bezahlten Vollzeitjob in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung eines Deeptech-Start-ups mit spannenden Projekten und hervorragenden Kollegen, mit denen ich meine Zeit gerne verbracht habe. Aber irgendetwas fühlte sich nicht so richtig richtig an. Der Alltag fing an mich zu langweilen und für meine "Zeit statt für meinen Verstand" (wie Naval es ausdrückt) bezahlt zu werden, begann sich unbefriedigend anzufühlen. Ich hatte mehr zu geben als nur angestellt zu sein und um meine Aufgaben und Gehalt zu verhandeln.

Ich war neugierig darauf, mein eigenes Unternehmen zu gründen und stieß in dieser Stimmung auf Entrepreneur First. Ihr Angebot: 50 Gleichgesinnte werden vom EF-Team ausgewählt und für drei Monate in einem Raum zusammengebracht, um Teams zu bilden und sich Geschäftsideen zu überlegen. Nach diesen drei Monaten pitchen die Teams vor einem Investitionsausschuss, und wenn EF das Team und deren Vision gefällt, investieren sie zu festgelegten Bedingungen (in Berlin sind es 80 000 € für 10 % des Unternehmens) oder eben nicht. Wenn sie investieren, helfen sie den neu gegründeten Firmen im Anschluss häufig sechsstellige Beträge von Wagniskapitalgebern einsammeln. Ah, und während der ersten drei Monate zahlt EF jedem Mitglied der Kohorte ein Stipendium von 2.000 € pro Monat. Sie bezahlen einen dafür, dass man eine/n Mitgründer/in finden und in der Welt der Venture Capital gestützten Startups eine Chance hat. Ehrlich gesagt, ist das ein ziemlich gutes Angebot.

In den 2 1/2 Vorstellungsgesprächen, die ich mit ihnen hatte, ging es hauptsächlich darum, zu argumentieren, dass ich hoch motiviert bin und Ideen in meinem Bereich habe. Sie "bewerten die Bewerber anhand von 5000 Datenpunkten", wie sie später sagten, aber es fühlte sich nicht so einschüchternd an, wie es klingt.

Das Edge-Framework von EF teilt die Menschen in vier Kategorien ein, und zwar:

- 🔬 Tech Edge: Personen, die über ein tiefes technisches Fachwissen in einem Bereich verfügen.

- 📈 Market Edge: Personen, die einen bestimmten Markt sehr gut kennen.

- 👩🏼 Catalyst Doer: Menschen, die die Stärken eines anderen aktivieren und ihn vorantreiben können. Aber sie können auch gut Sachen voranbringen, zB gute Programmierer.

- 📣 Catalyst Talker: Wie oben, aber starke Redner, z. B. Vertriebsleute.

Außerdem werden die Leute in CTO- und CEO-Typen eingeteilt, und es wird dringend empfohlen, Teams aus zwei sich ergänzenden Typen zu bilden. Mit meiner Promotion im Bereich der ultrakurzen Laserpulse wurde ich zum Beispiel in die CTO-Kategorie eingeteilt, mit einem starken Tech-Edge in - nun ja - ultrakurzer Laserpulse. Aber um im EF-Rahmen zu bleiben, hätte ich auch ein Market-Edge im Bereich Laser/Optik und ein bisschen Catalyst Talker durch die Konferenzpräsentationen und der Nachhilfe, die ich gegeben habe.

Ich hatte keine Ahnung, was ich gründen wollte. Ich habe im Laufe der Jahre einige Ideen gesammelt, war aber von keiner von ihnen jemals wirklich überzeugt. Für EF spielt das erstmal keine Rolle, da sie in Menschen investieren, nicht in Ideen. Man wird also in einen Raum mit 49 anderen Leuten gesteckt, von denen die meisten ebenfalls nur vage wissen in welche Richtung sie vielleicht gehen wollen. Das muss nicht unbedingt ein Problem sein. Startup-Ideen entstehen selten aus diesen dramatischen Heureka-Momenten. Stattdessen entwickeln sie sich im Laufe der Zeit und reifen, wenn die Startups sich umorientieren, um den Product-Market-Fit zu finden.

EF beginnt mit einem Kick-off-Wochenende zwei Wochen vor dem offiziellen Start des Programms. Ein motiviertes Mitglied der Kohorte hatte bereits vorher eine Slack-Gruppe gegründet, so dass EF für uns etwa drei Wochen vor dem Kick-off-Wochenende mit endlosen Online-Gesprächen begann, bei denen ich die meisten der 49 Personen schonmal gesprochen habe.

Es war schnell zu sehen, dass die Kohorte voller interessanter Menschen steckte. Jeder schien bereits etwas Außergewöhnliches und Großes geleistet zu haben. Das hat mich ziemlich angesteckt und so bin ich mit zwei fast-Teams in zwei Bereiche (KI-Besprechungsassistent und vertikale Landwirtschaft 🌱) schon vor dem offiziellen Start des Programms ziemlich tief eingetaucht.

EF ist ein lustiges psychologisches Experiment, fast wie eine Reality-Show ohne Kameras. Man Brainstormt mit verschiedenen Leuten und überprüft ständig die Beziehung mit denen, denn wenn man es wirklich zusammen durchzieht, wird man 5-10 Jahre quasi miteinander verheiratet sein. Man muss also für sich selbst werben und gleichzeitig ehrlich darüber sein, was man kann und was nicht und was man will und was nicht. Und all das während man ständig prüft, ob man die andere Person genug mag, um mit ihr ein Team zu bilden.

Der Ideenfindungsprozess bei EF ist iterativ. Man beginnt damit, sich mit seinem Mitstreiter eine gemeinsame Überzeugung zu überlegen. Daraus versucht man Hypothesen abzuleiten, die man dann in Gesprächen mit anderen Personen zu verifizieren versucht. Sobald diese eine These entkräften, versucht man, die Nächste zu formulieren, und so weiter. Im Idealfall findet man irgendwann ein hair-on-fire-Problem und mit dem ein paar Leute, die dieses Problem unbedingt gelöst haben wollen.

Natürlich gibt es in diesem Prozess immer wieder Probleme, und so kommt es zu haufenweise Trennungen. EF zelebriert Trennungen, betont, dass jede Trennung ein Fortschritt für beide Seiten ist und so ist der Slack-Channel voll von halbironischen Glückwünschen, wenn sich ein Team getrennt und gut darüber reflektiert.

Ich habe insgesamt in zwei offiziellen Teams gearbeitet. Das erste war zusammen mit einem ehemaligen Berater und Experten für Lebensmittellieferungen an einem Tool zur Optimierung von Lieferketten in der Lebensmittelbranche. Wir hatten eine schöne Machine-Learning-Prognoselösung im Sinn, aber da es bereits sehr viele Lösungen gibt, war es entscheidend, einen Keil zu finden - eine kleine Lücke in den bestehenden Lösungen.

Um diese zu finden, sprachen wir mit 45 Personen, vom Supply-Chain-Management in börsennotierten Unternehmen bis hin zu Inhabern hipper Bäckereien. In zwei Wochen haben wir viel gelernt, aber zu der Einsicht gelangt, dass dieser Bereich gesättigt ist. Und so haben wir beide die Begeisterung dafür verloren und haben uns getrennt.

Für das zweite Team tat ich mich mit einer Gesundheitsexpertin zusammen, um eine laserbasierte Spektroskopiemethode aus den wissenschaftlichen Laboren in die medizinische Wirklichkeit zu bringen. Dies lag thematisch nahe an meiner Doktorarbeit, und ich hatte mich schon seit einiger Zeit gefragt, ob mit dieser Technologie nicht noch mehr zu holen sei. Nun hatte ich die einmalige Gelegenheit, dieses Thema zusammen mit einer Person zu vertiefen, die sich auf diesem Gebiet, zumindest auf geschäftlicher Ebene, viel besser auskennt als ich. Da uns beiden viel Wissen über Medizin und Biologie fehlte, sprachen wir mit vielen Ärzten und Biologen und lernten - wieder einmal - deren Probleme, den vorhandenen Technologien und den (harten) Arbeitsabläufe der Ärzte kennen. Durch groß angelegte Kaltakquise auf LinkedIn wurden wir in zwei medizinische Labors eingeladen und erhielten ein begeistertes Angebot von einem Arzt, in unserem medizinischen Beirat mitzuarbeiten.

Trotz all dieser Fortschritte stellten wir fest, dass wir eine Technologie auf der Suche nach einem Problem hatten. Ein riesiger Laserhammer auf der Suche nach einem Nagel. Es ist zwar möglich, auf diese Weise Nägel zu finden - aber wie wahrscheinlich ist es, dass der Hammer der richtige ist, um das Problem zu lösen? Wir beide wussten zu wenig über Biologie und Medizin, um mit dieser Technologie wirklich wichtige Probleme zu lösen. Wir sahen zwar einige potenzielle Lösungen, die wir bauen konnten, waren aber nicht allzu begeistert von ihnen, und der Markt war nicht groß genug für ein VC-finanziertes Projekt.

Wir brauchten vier Wochen, um an diesen Punkt zu gelangen, und diese vier Wochen waren eine einzige Achterbahnfahrt. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, aber nach der Trennung fühlte ich mich, als wäre ich 10 Wochen lang am Stück gesprintet, und meine Energie war am Ende. Ich hatte noch neun Tage Zeit, um einen Mitgründer zu finden, und es war schwer, wieder in Stimmung zu kommen, eine weitere revolutionäre Startup-Idee zu entwickeln, mit einer völlig neuen Person im EF-Framework zu bleiben, zu versuchen, an unseren Edges zu denken und Dutzende von Leuten wegen ihrer Probleme anzurufen.

Am Ende ist die Deadline zur Bildung eines Teams gekommen, ohne dass ich einem war. Dies hieß also das Ende von EF für mich und um ehrlich zu sein, schwang hier viel Erleichterung mit. Jetzt einfach weiterzusprinten von einer Investmentrunde zur Nächsten - vielleicht fällt mir noch was Besseres ein.

Ich bin unendlich dankbar, dass ich die Möglichkeit hatte, an EF teilzunehmen. Noch nie sonst habe ich in so kurzer Zeit so viel über spezifische Themen sowie über mich gelernt. Außerdem habe ich das Gefühl, dass das Netzwerk, das in diesem Prozess entstanden ist, ein großer Gewinn für die Zukunft sein wird.

Während ich langsam von dieser intensiven Zeit runterkomme, beginne ich zu begreifen, worum es mir die ganze Zeit über ging: Freiheit. In meinen früheren Rollen fühlte ich mich eingeengt, und der Aufbau eines VC-gestützten Startups ist auch nicht gerade das, was man Freiheit nennen kann.

Eines habe ich gelernt: Diese VC-gestützte Welt kann wirklich dabei helfen, große Ideen noch größer zu machen. Aber bei all dem Stress der daraus resultiert, sollte das bitte auch eine verdammt nochmal gute Idee sein. Jetzt sehne ich mich nach mehr Freiheit, um verschiedene Themen zu erkunden. Ich werde meinem Instinkt folgen, kleine Projekte aufbauen und darüber schreiben. Mein Ziel für 2023. Ich hoffe, wir sehen uns dort :-)

Ich werde in unregelmäßigen Abständen Blogbeiträge schreiben und würde mich sehr freuen, wenn du dich anmeldest (lila Button unten rechts), um zukünftige Beiträge zu erhalten.

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Jamie Larson
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